Serata-Tagaktiv

Die einzige verbliebene Tagesstruktur im Bezirk Horgen

Interview mit Silvia Müller Beerli, Geschäftsführerin Serata, Stiftung für das Alter

Die meisten Menschen möchten im Alter so lange wie möglich in der vertrauten Umgebung bleiben. Angesichts der zunehmenden Hochaltrigkeit und der eingeschränkten Selbständigkeit braucht es dafür Angebote wie das Serata-Tagaktiv. Im Bezirk Horgen bietet nur noch das Serata eine betreute Tagesstruktur an. Ein Interview mit Geschäftsführerin Silvia Müller Beerli.

Silvia Müller Beerli, wie sehen Sie die aktuelle demografische Entwicklung und die steigende Lebenserwartung in Bezug auf das Leben im Alter?
Wir haben das Privileg, in eine Zeitepoche des langen Lebens hineingeboren zu sein. Zumindest, was die Schweiz anbelangt. Noch nie zuvor hatten wir eine so hohe Lebenserwartung wie aktuell. Faktoren wie eine intakte Umwelt, eine sehr gute medizinische und medikamentöse Versorgung, Ernährungssicherheit, finanzielle Vorsorge und viele mehr tragen diesem Umstand Rechnung. Im Unterschied zu früheren Generationen lohnt es sich, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Das Alter «heute» ermöglicht neue Perspektiven zur Ausgestaltung des eigenen Lebens.

Altersaufbau der Bevölkerung

Die steigende Lebenserwartung fordert uns alle auf, uns mit unseren Vorstellungen vom Altwerden auseinanderzusetzen. Welche Fragen sollten wir uns stellen?

  • Wie gestalte ich meine nachberufliche Lebensphase? Was ist mir wichtig? Familie, Enkel, Reisen, Freiwilligenarbeit, ein neues Hobby entdecken?
  • Gibt es Betätigungsfelder, die ich als sinnerfüllend wahrnehme?
  • Wie und wo möchte ich im Alter leben …
    o  zwischen 65 und 80? Da in der Regel noch kein bis kaum Betreuungs- und Pflegebedarf besteht.
    o  ab 80, wenn gesundheitliche Einschränkungen deutlich zunehmen?
  • Welche Wohnform ist die richtige für mich (Alters-WG, Mehrgenerationenwohnen, Wohnen mit Dienstleistungen, zum Beispiel einem Alterszentrum angeschlossen, Verbleib in der bisherigen Wohnung oder im eigenen Haus usw.)
  • Welche Vorkehrungen sind zu treffen, wenn es mir oder meiner Partnerin bzw. meinem Partner gesundheitlich nicht mehr gut geht?
  • Wie gehe ich mit Mobilitätseinschränkungen, Seh- und Hörbehinderungen oder demenziellen Erkrankungen um, sei es bei mir selbst, bei meiner Partnerin oder meinem Partner, oder bei uns beiden?

Wie unterstützt Serata-Tagaktiv Seniorinnen und Senioren bei der Gestaltung von Übergängen zwischen dem Rentenalter und dem hohen Alter?
Tagaktiv ist für alle Menschen im Erwachsenenalter da, die Einschränkungen unterschiedlichster Art erleben, und/oder einer sozialen Isolation vorbeugen möchten. Vor allem werden pflegende Angehörige unterstützt, die ihre Partner:in tageweise unseren Mitarbeiterinnen im Tagaktiv anvertrauen. An diesen Tagen dürfen sie sich von der oft sehr anspruchsvollen Betreuung erholen.

Serata Tagaktiv

Welche positiven Effekte beobachten Sie bei den Seniorinnen und Senioren, die das Serata-Tagaktiv regelmässig besuchen?
In erster Linie vermitteln wir Sicherheit und ein positives Lebensgefühl, das durch gelebte Gemeinschaft entsteht. Unsere Tagesgäste werden individuell und in Gruppen betreut. Manche mögen es zurückgezogen, andere lieben es zu jassen, zu gestalten oder im Therapiegarten zu wirken.

Abends einen entspannten Tagesgast nach Hause zu entlassen, hilft den Betroffenen und den betreuenden Angehörigen.

Für ältere Menschen und ihre Angehörigen scheint es oft schwierig zu sein, Hilfe anzunehmen. Warum ist das so?
Hilfe anzunehmen ist in der Tat schwierig – auch für jüngere Menschen. Damit wird ausgedrückt, dass ich es allein nicht schaffe, auf andere angewiesen bin. Wer will das schon? Dazu kommen hohe Ansprüche an sich selbst: Ich schaffe es, meinen Ehemann oder meine Ehefrau zu betreuen. Wenn man diesem Anspruch nicht genügt, entstehen Gefühle des Versagens und der Scham. Und was werden die Nachbarn sagen, wenn ich meinen Mann, meine Frau tageweise «abgebe»?

Den Erstgesprächen mit Betroffenen schenken wir deshalb besonders grosse Aufmerksamkeit und begegnen ihnen mit viel Einfühlungsvermögen. Oftmals braucht es mehrere «Anläufe», bis Bereitschaft besteht, einen «Schnuppertag» im Tagaktiv zu verbringen. Mit den ersten positiven Erfahrungen kommt dann auch das Vertrauen.

Seit der Corona-Zeit hat sich die Nachfrage nach betreuten Tagesangeboten verändert. Wie kam es zu diesem Rückgang?

Die Corona-Pandemie war für unsere älteren Mitmenschen massiv einschneidend. Durch die Anordnungen der Gesundheitsdirektion herrschte für Pflegeheimbewohner:innen über Monate hinweg ein Besuchsverbot. Das steckt vielen älteren Menschen noch heute in den Knochen. Auch die Vorstellung, dass sich im Pflegeheim oder in Gruppen Menschen mit tödlichen Viren anstecken, ist geblieben. Nicht mehr so stark ausgeprägt wie kurz nach Ende der Pandemie, aber immer noch spürbar. Das hat sich auf die Belegung des Tagaktiv ausgewirkt. Betreuten wir vor der Corona-Pandemie täglich 18 bis 20 Personen, sind es heute 14 bis 15. Ich bin überzeugt, dass der Bedarf an Tagesbetreuung besteht und zukünftig wachsen wird. Gleichzeitig sind immer noch viele Vorurteile aus der Pandemie vorhanden, die Betroffene hemmen, das Angebot in Anspruch zu nehmen.

Tagesangebote sind für die meisten Heime nicht rentabel. Im Bezirk Horgen wurden bis auf das Serata-Tagaktiv alle geschlossen. Wie sehen Sie die Rolle des Serata-Tagaktiv als einzige verbliebene Tagesstruktur in der Region?
Tagaktiv schliesst eine Lücke zwischen dem stationären Bereich (Pflegeheim) und dem ambulanten Bereich (Wohnen zu Hause mit Spitex-Dienstleistungen). Mit unserem Angebot unterstützen wir Betroffene, länger in den eigenen vier Wänden zu bleiben und einen verfrühten Eintritt ins Pflegeheim zu vermeiden. Es bleibt ein wichtiges Angebot, stellt aber bei fehlender Auslastung eine wirtschaftliche Herausforderung dar. In den letzten Jahren wurden in unserer Region und in Nachbarkantonen Pflegeheime geschlossen. Fehlende finanzielle Mittel haben zu Betriebsschliessungen geführt. Ein Novum. Die Sensibilität für einen kostendeckenden Betrieb hat in den letzten Jahren zugenommen und damit verbunden auch eine grössere Bereitschaft, defizitäre Bereiche zu schliessen.

Welche Massnahmen könnten Ihrer Meinung nach dazu beitragen, die wichtigen Tagesstruktur-Angebote für die Zukunft sicherzustellen?
Sicherlich mussten auch wir unsere Kostenstruktur überdenken und Abläufe anpassen. Ausschlaggebend für das Überleben einer Tagesstätte ist die Auslastung. Eine stets sehr gute Betreuungsqualität ist dafür massgebend. Auch eine finanzielle Unterstützung potenzieller Nutzer:innen mit geringem Einkommen durch die Gemeinde kann helfen.

Am besten hilft natürlich eine positive Mund-zu-Mundpropaganda von zufriedenen Tagesgästen und deren Angehörigen ☺.

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